Die Wahrheit des Irrtums

Das Gewissen als Individualitätsprinzip
in der Ethik des Thomas von Aquin

William J. Hoye (Münster)

(erschienen in Miscellanea mediaevalia, Bd. 24: Individuum und Individualität im Mittelalter, Berlin 1996, 419-435)


In der Konzeption moderner Demokratie hat die Gewissensfreiheit alsGrundrecht des Individuums eine kaum zu überbietende Tragweite. "Das in ihr liegende Prinzip", stellt der deutsche Bundesverfassungsrichter und Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde fest, "wird mit Recht als Grundlage der modernen individuellen Freiheitsrechte, ja des modernen Freiheitsgedankens überhaupt angesehen"Anm[1] . Zugleich läßt sich im allgemeinen Bewußtsein zur Zeit ein verblüffendes Unvermögen beobachten, die Würde des Gewissens zu rechtfertigen oder gar zu erklären. Soll dieser Eckstein der Neuzeit nicht zu einem bloßen Vorurteil verkümmern, das im Falle eines Konflikts mit anderen Werten nicht mehr die innere Kraft besitzt, sich Geltung zu verschaffen, muß aber die Begründung seiner Würde "als letzte und höchste Instanz der autonomen Persönlichkeit"Anm.[2] nachvollziehbar sein. Am deutlichsten kann man das Wesen der Gewissensfreiheit dem Blick freilegen, indem man das Augenmerk auf die Idee des irrenden Gewissens richtet, denn die ernsten Konfliktfälle entstehen, wenn vorausgesetzt wird bzw. werden kann, daß das individuelle Gewissen einem Irrtum unterliegt. Gewissensfreiheit verliert ihre Relevanz in einer politischen Gesellschaft, wenn das irrende Gewissen nicht im Vordergrund steht. Menschenrechte erhalten ihre Aktualität und Brisanz, sofern sie Abwehrrechte darstellen. Aber warum -- so stellt sich dann die Frage -- verdient ein ethischer Irrtum solch hohen Respekt?

Die Einsicht in die selbst durch einen Irrtum unbeeinträchtigte Würde des Gewissens ist eine Errungenschaft, die nicht nur dem marxistisch-leninistischen Sozialismus unerklärlich bleibt, da er das Gewissen so auffaßt, daß es nichts als die persönliche Verinnerlichung gesellschaft geltender Normen darstelltAnm.[3], also die Idee eines irrenden Gewissens nicht zu denken vermag. Auch der Aufklärung erscheint es unverständlich, und zwar aufgrund der inneren Logik dieser die menschliche Vernunft verabsolutierende Philosophie. Immanuel Kant hält die Vorstellung eines irrenden Gewissens für "ein Unding"Anm.[4]. Für Johann Gottlieb Fichte irrt das Gewissen nie, "und kann nicht irren"Anm.[5].

Nun mag es sein, daß das irrende Gewissen eine Ausnahmeerscheinung in der Moral repräsentiert. Im Normalfall besteht die Schwierigkeit der Moral nicht so sehr darin, das Gewissen zu bilden, als ihm zu folgen. Hinzu kommt, daß in der Regel jemand mit einem irrenden Gewissen sich seines Irrtums nicht bewußt ist. Es ist der Blick von außerhalb der eigentlichen moralischen Situation, der den Irrtum wahrnimmt oder zumindest meint, ihn wahrzunehmen, und der durch die Eigenheit der Situation mit einer ethischen Herausforderung konfrontiert wird. Gleichwohl kann die Auseinandersetzung mit dem Paradox des irrenden Gewissens doch erhellend wirken, um Moralität in ihrem Wesen zu begreifen und somit die Individualität der menschlichen Person zu ergründen, denn noch mehr als Wahrheiten vermögen Irrtümer die Einmaligkeit eines Individuums zu bezeugen. Während objektive Wahrheit allgemein für alle Menschen gilt, ist die Gültigkeit der Wahrheit eines irrenden Gewissens gekennzeichnet durch ihre Ausschließlichkeit für das Individuum.

In den exakten und gründlichen Beobachtungen des Thomas von Aquin über Wahrheit und Gewissen erweist sich die änigmatische Idee des irrenden Gewissens nicht als eine bloße Ausnahme, sondern als ein Phänomen, an dem die Beziehung des Menschen zur Wahrheit sich besonders klar herausstellen läßt. Überdies zeigt sich meines Erachtens an keiner anderen Stelle die religiöse Grundlage der Moral so deutlich. In diesem Zusammenhang gründet zugleich eine unantastbare Individualität, so daß der Gottesbezug als die Kehrseite der Individualität erscheint.

Der springende Punkt bei der Einsicht in die Würde des irrenden Gewissens bei Thomas liegt in der klaren Unterscheidung zwischen Wahrheit im abstrakten Sinne und Wahrheit im konkreten Sinne. Thomas selbst spricht von veritas (bzw. genauer: veritas prima) und verum. In bezug auf das Gewissen lassen sich beide Begriffe nicht nur unterscheiden, sondern -- im Falle eines irrenden Gewissens -- sogar trennen. Das Gewissen kann nämlich das gesuchte verum verfehlen und dabei ungehindert die veritas fassen. Ohne eine solche Analyse sehe ich keine Möglichkeit, die politische Idee der Gewissensfreiheit zu rechtfertigen.

Kennzeichnend für die im Folgenden herauszuarbeitenden Zusammenhänge ist das Paradox, daß beim Vollzug einer tatsächlich schlechten Tat ein Mensch als Individuum gut, sowie, umgekehrt, beim Vollzug einer objektiv guten Tat die Person schlecht sein kann. Selbst im Irrtum kann Wahrheit sich vergegenwärtigen. Konkret kann ein Mensch zwar das Falsche finden, desungeachtet aber die Wahrheit abstrakt suchen. Auch in dem an sich versagenden Gewissen, welches objektiv Falsches für wahr hält, kann der Wille, welcher sich der Wahrheit im konkret Falschen zuwendet, tragend bleiben, aber nur sofern er sich an das Gewissen hält. Was den Charakter der Person betrifft, kommt es immer darauf an, die Wahrheit zu suchen.

Wie erklärt Thomas diese Unterscheidung, die moralisch ausschlaggebend ist und zugleich im normalen gesellschaftlichen Leben äußerst unbeliebt, wenn nicht gar in einer säkularisierten Welt überhaupt unverständlich ist? Wesentlich für seine Lehre ist die Beobachtung, daß das Gewissen die Eigentümlichkeit besitzt, alles, was es erkennt, unter der Formalität der Wahrheit, d. h. als wahr (ut verum), zu erfassen. Die Distinktion zwischen verum und veritas liegt der Ironie des Irrtums zugrunde. Gerade in dieser "Formalität" (formaliter, sed non materialiter) liegt die Wahrheit des Irrtums, welche bestimmend ist für die Stellung eines Menschen zur Wahrheit überhaupt, das heißt nach Thomas: zur Wirklichkeit schlechthin. Das Gewissen ist eher mit einem Licht als mit einer Stimme zu vergleichen. Man kann ein positives Verhältnis zur Wahrheit selbst haben, obwohl man sie im Bereich der konkreten Handlung aus dem Gesichtsfeld faktisch verliert.

Bevor wir mit der näheren Untersuchung anfangen, möchte ich vorerst die thomistische These befestigen. In seiner Lehre, daß das Gewissen immer und unter allen Umständen bindend sei, ist Thomas nämlich stets kategorisch und absolut. "Eine menschliche Handlung wird als tugendhaft oder lasterhaft beurteilt gemäß dem (subjektiv) wahrgenommen Gut, das der eigentliche Gegenstand des Willens ist, und nicht gemäß dem materialen (d. h. realen) Gegenstand der Handlung. ... Und daher muß gesagt werden, daß jedes Gewissen, ob wahr oder irrig, ob in bezug auf Dinge, welche in sich schlecht sind, oder welche indifferent sind, verpflichtend ist, so daß, wer gegen sein Gewissen handelt, sündigt"Anm.[6]. Das Gewissen ist also für Thomas das Kriterium schlechthin, um Gut und Böse im moralischen Sinne zu bestimmen, selbst wenn -- wie wir noch sehen werden -- eine solche Autonomie des Individuums keine absolute ist. Moralität bedeutet ihrem Wesen nach eine Beziehung zum eigenen Gewissen. Er läßt keine Ausnahmen zu.

Thomas unterzieht seine eigene Position einem methodologischen Zweifel, d. h. er konfrontiert sich selbst mit schwierigen Einwänden, die ich kurz erwähnen will. Seine Behandlung solcher Schwierigkeiten wirft zusätzliches Licht auf die grundlegende Einsicht. Nehmen wir zum Beispiel den Fall eines irrenden Gewissens, das die Wahrheit nicht nur objektiv verfehlt, sondern darüberhinaus im Widerspruch zum Gebot einer anerkannten Autorität steht. Müssen wir uns denn nicht, so könnte, sogar mit Unterstützung der Hl. Schrift, argumentiert werden, "der obrigkeitlichen Gewalt unterordnen, denn es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott ist" (Röm. 13, 1)? Die Schlußfolgerung erscheint zwingend: "Wer sich daher der Gewalt widersetzt, widersetzt sich der Anordnung Gottes; die sich aber widersetzen, ziehen sich selbst das Gericht zu" (Röm. 13, 2). Obwohl in diesem Beispiel vorausgesetzt wird, daß die legitime Autorität objektiv im Recht ist, bleibt Thomas dennoch mit unbeirrbar logischer Stringenz bei seinem Prinzip, dem zufolge das Gewissen des Individuums den Vorrang immer behalten muß, auch gegenüber der Autorität eines Vorgesetzten; das Gewissen des einzelnen Untergebenen steht höher. Freilich bestreitet er keineswegs die Autorität an sich oder die Richtigkeit ihres Gebotes, nichtsdestoweniger nimmt er eine Sichtweise ein, die das Gewissen höher einschätzt. Der Aspekt, den Thomas in diesem Zusammenhang als relevant zugrundelegt, ist die Tatsache, daß Gott noch höher steht als der Vorgesetzte. Mit diesem Vergleich artikuliert er seine Argumentation: "Die Bindung des Gewissens mit der Bindung, die von dem Gebot eines Vorgesetzten stammt, zu vergleichen, ist nichts anders als, die Bindung eines göttlichen Gebotes mit der Bindung des Gebotes des Vorgesetzten zu vergleichen. Da also ein göttliches Gebot gegen das Gebot des Vorgesetzten bindet und mehr als das Gebot des Vorgesetzten bindet, wird die Bindung des Gewissens ebenfalls größer sein als die Bindung des Vorgesetzten, und das Gewissen wird auch dann binden, wenn das Gebot des Vorgesetzten im Widerspruch dazu steht"Anm.[7]. Verglichen mit der Stimme des Gewissens sei die Stimme des Vorgesetzten nichts als nur die Stimme des Vorgesetzten. Das Problem auf die Spitze treibend stellt sich Thomas darüberhinaus die noch verschärfte Frage, wie es sich dann verhält, wenn man an das Gebot des Vorgesetzten durch ein Gehorsamsgelübde gebunden istAnm.[8]. Auch diese Situation rechtfertigt aber in seinen Augen keine Ausnahme.

Die Frage läßt sich noch weiter radikalisieren. F. M. Dostojewskij formuliert eine extreme Frage, indem er sich vor die fiktive Wahl zwischen der Wahrheit und dem Gottmenschen Christus stellt. Er antwortet zuungunsten der Wahrheit. "Würde mir jemand beweisen, daß sich Christus außerhalb der Wahrheit sei, und wäre es wirklich so, daß die Wahrheit außerhalb Christi sei, dann würde ich lieber mit Christus bleiben als mit der Wahrheit"Anm.[9]. Thomas von Aquin hingegen hält sich bei der Frage, ob es böse sei, an Christus zu glauben, im Falle eines Gewissens, das (natürlich irrtümlicherweise) überzeugt sei, dies sei gegen die Wahrheit, doch kompromißlos an der Wahrheit fest, wobei er die Heilsnotwendigkeit des Glaubens an Christus ungeschmälert voraussetztAnm.[10]. Dadurch werden die Zusammenhänge unmißverständlich deutlich. In einem solchen Menschen würde der Glaube an Christus eine Verleugnung der Wahrheit an sich implizieren und somit dem Sinn des Christusglaubens widerstreben. Schließlich radikalisiert Thomas das Problem so weit, daß er von einer Trennung zwischen der Wahrheit und Gott selbst ausgeht. Es ist nur folgerichtig, wenn er zu dem Einwand gegen die biblische Figur Hiob, daß, indem dieser sich anmaßt, ein Streitgespräch mit Gott selbst zu führen, er die Überlegenheit Gottes mißachtet, schlicht und ohne Umschweife erwidert: "Die Wahrheit ändert sich nicht aufgrund der Verschiedenheit der Personen; wenn jemand die Wahrheit sagt, kann er also nicht besiegt werden, mit wem auch immer er das Streitgespräch führt"Anm.[11]. Das subjektive Festhalten an die Wahrheit bleibt also für Thomas unter allen Umständen das Kriterium schlechthin für Moralität. In diesem Zusammenhang räumt er nie der Objektivität den Vorrang vor der Subjektivität ein.

Eine weitere Verdeutlichung: Diese Lehre soll nicht so gedeutet werden, als ob ein irrendes Gewissen lediglich entschuldige. In der Summa stellt Thomas zwei verschiedene Fragen, von denen die Frage, ob ein irrendes Gewissen entschuldigend wirkt, nur die eine ist. Die zweite Idee, die er dadurch unterstreicht, daß er ihr einen eigenen Artikel widmet, ist, daß ein irrendes Gewissen außerdem in einem positiven Sinne verpflichtend sei. Es handelt sich also nicht bloß um eine Ausnahme, eine Dispensation, als ob die objektive Wahrheit immer noch irgendeine bindende Kraft auf die betreffende Person beanspruchen könnte. Im Falle eines irrenden Gewissens ist es einem nicht nur erlaubt, das Falsche zu tun; man ist dazu sogar verpflichtet. Hier gestattet Thomas keine Kompromisse, auch nicht wenn der Irrtum selbst verschuldet istAnm.[12]. Insofern geht er über die von der Katholischen Kirche übernommene Ansicht hinaus, wonach nur ein schuldlos irrendes Gewissen binde.

Ist zur Genüge herausgestellt worden, wie radikal Thomas diese Lehre vertritt, drängt sich nun die Frage nach den inneren Zusammenhängen auf. Mit anderen Worten, wie ist es zu erklären, daß es moralisch gut ist, das objektiv Falsche, bzw. moralisch schlecht, das objektiv Gute zu tun, unter der Bedingung, daß das Gewissen die Handlung motiviert? Läßt es sich im übrigen verständlich machen, wieso die individuellen Fähigkeiten des jeweiligen Verstandes außer acht gelassen werden dürfen? Weder Intelligenz noch Dummheit noch der Grad der Informiertheit oder der Lebenserfahrung machen bei diesem moralischen Prinzip einen Unterschied. Wenn das Gewissen die unmittelbare Stimme Gottes ist, wie läßt es sich dann verständlich machen, wie es überhaupt irren kann? Angesichts solcher Probleme erklärt beispielsweise Josef Ratzinger die Lehre des Thomas von Aquin für "unerfindlich"Anm.[13]. Ratzinger wirft dem Kirchenlehrer schlichtweg einen Widerspruch vor und spricht vom "vorkritischen Denken". Gegen den Heiligen schreibt der Kardinal: "Sachlich ist die These des Thomas (von der verpflichtenden Geltung des irrenden Gewissens) im Grunde dadurch aufgehoben, daß er von der Schuldhaftigkeit des Irrtums überzeugt ist. Die Schuld liegt so zwar nicht im Willen, der ausführen muß, was ihm die Vernunft aufträgt, aber in der Vernunft, die um Gottes Gesetz wissen muß"Anm.[14]. Während er die Bindungspflicht des Gewissens anerkennt, bemängelt Ratzinger die Vernachlässigung der Bildungspflicht bei Thomas. Objektive Wahrheit müsse nicht nur gesucht, sondern auch gefunden werden, was für Ratzinger bedeutet, daß ein irrendes Gewissen selbst schuldhaft sei.

Gegen Ratzinger muß aber hervorgehoben werden, daß die Position des Thomas wesentlich anders konzipiert ist. Sie ist nämlich in eminenter Weise subjektiv -- was natürlich nicht heißt, daß er eine absolute Autonomie des Subjekts lehrt --, und gerade in dieser Subjektivität vollzieht sich die religiöse Gottesbeziehung. Der Angelpunkt für Thomas liegt in der Eigenheit des Gewissens, die Wirklichkeit als wahr zu erfassen. Auf die Beobachtungsweise, nicht auf den objektiven Sachverhalt kommt es an. Die Unterscheidung zwischen objektiver, in der Realität der Handlung vorkommender Wahrheit (verum) und der subjektiven, im Denken vorkommenden formalitas (ut verum) ist, wie gesagt, ausschlaggebend. Auch wenn das Gewissen irrt und zu einer die Realität verfehlenden Stellungnahme gelangt, erfaßt es sein Ergebnis immer ut verum und gerade deshalb und insofern als von Gott stammend: "Der irrende Verstand stellt sein Urteil als wahr dar, und infolgedessen als von Gott abgeleitet, von dem alle Wahrheit Herrührt"Anm.[15]. Und diese Bezogenheit als solche ist weit davon entfernt, eine subjektive Täuschung zu sein.

Dementsprechend weist Thomas das Argument zurück, Gottes Gesetz verdiene mehr, daß ihm gehorcht werde, als das GewissenAnm.[16], was schließlich eine Relativierung des Gewissens implizierte. Thomas geht sogar so weit, zu behaupten, daß im Bereich des konkret einzelnen, d. h. im Bereich moralischer Entscheidungen und Handlungen, das, was Gott tatsächlich will, uns Menschen unbekannt bleibt: "Im einzelnen jedoch wissen wir nicht, was Gott will, und in bezug darauf sind wir nicht gehalten, unseren Willen dem göttlichen anzugleichen"Anm.[17]. Für die betreffende Person ist es einfachhin unmöglich, den Willen Gottes von der konkreten Vorschrift des Gewissens zu trennen. Dies für zumindest denkbar zu halten, enthält bereits ein Mißverständnis, das dem Wesen des Gewissens widerspricht. "Der Spruch des Gewissens ist nichts anderes als das Ankommen (perventio des Gebotes Gottes bei dem, der ein Gewissen hat"Anm.[18]. Selbst wenn er in Wirklichkeit falsch ist, wird der Gewissensspruch als Gesetz Gottes gesehenAnm.[19]. Insofern kommt das Gesetz Gottes durch das Gewissen mit Unfehlbarkeit durch. Thomas ist in diesem Zusammenhang auffallend präzis. So stellt er sich die Frage, ob wir immer wollen müssen, was Gott willAnm.[20], d. h. was wirklich das Gute ist. Er beantwortet diese etwas überraschende Frage mit einer noch überraschenderen Verneinung; zur Klärung unterscheidet er zwischen dem, was Gott will, und dem, wovon Gott will, daß wir es wollen. Was wir Menschen wollen sollen, ist das, "wovon Gott will, daß wir es wollen". Das heißt, Menschen sollen ihrem Gewissen folgen. Diese Analyse der Subjektivität der Moralität wird in Ratzingers Kritik übersehen. Sie läßt sich allerdings noch vertiefen.

Eine differenziertere Kritik an der von Thomas verteidigten Verabsolutierung des Gewissens wird von Robert Spaemann geübt. Spaemann will den Geltungsbereich des irrenden Gewissens einschränken. Er deutet Thomas dahingehend, daß dessen Lehre von der Bindung eines irrenden Gewissens sich lediglich auf die Analyse der vorliegenden Tatsachen (ignorantia facti bzw. particularis circumstantiae), nicht auf die sittlichen Normen selbst (ignorantia iuris) erstrecken soll. Täuscht sich das Gewissen in bezug auf eine allgemeine Einzelnorm, so trägt nach Spaemann die Person stets moralische Schuld für ihre Entscheidung. Spaemann unterscheidet mit anderen Worten zwischen einem normativen Irrtum und einem Tatsachenirrtum: "Für Thomas ist Gewissen eine solche Regel nur deshalb, weil es die subjektive Erscheinungsweise der an sich geltenden sittlichen Ordnung ist. Seine Urteile entspringen nicht einer irrationalen Tiefe des Gemütes, sondern sie sind Urteile der praktischen Vernunft (19,5). Diese Urteile können schuldlos irrig sein hinsichtlich des Vorliegens oder Nichtvorliegens bestimmter sittlich relevanter Tatsachen. In diesem Fall ist die Handlung nach dem Gewissen trotz ihrer objektiven Falschheit sittlich gut. Anders aber, wo das Gewissen bezüglich der sittlichen Ordnung selbst irrt. Ein solcher Irrtum ist nach Thomas von einem Tatsachenirrtum qualitativ zu unterscheiden, und er ist stets mehr oder weniger schuldhaft"Anm.[21]. Nach Spaemann steht man hier vor einer Aporie: nicht nur ist es immer unmoralisch, eine Entscheidung gegen das sich bezüglich des Sittengesetzes täuschende Gewissen zu fällen, auch eine mit dem Gewissen konformen Entscheidung beinhaltet in diesem Fall moralische Schuld. "Wer ihm aber folgt, sündigt nicht minder"Anm.[22]. Der Beleg, den er für diese Behauptung in seinem Text anführt, bezieht sich allerdings nur auf den erste Teil der Aporie.

Spaemann hält die thomistische Lehre vom irrenden Gewissen für irreführend, zumal es nach ihm eigentlich gar kein irrendes Gewissen geben kann. In seinen Worten: "Es ist immer wieder zu hören, daß auch das irrende Gewissen nach Thomas verpflichte. Diese Behauptung ist irreführend. Sie läuft darauf hinaus, daß es ein irrendes Gewissen eigentlich gar nicht gibt, daß der Irrtum sich im Grunde nur auf Tatsachen beziehen kann und daß Normen nur eine andere Art von Tatsachen sind. Sittliche Qualität gewinnt danach eine Handlung nicht durch Übereinstimmung mit dem, was von Natur recht ist, also mit der lex divina (19,4 ad 3), sondern durch Übereinstimmung mit dem Gewissen, der proxima regula moralitatis"Anm.[23]. Für Spaemann hängt die moralische Qualität eines Aktes von der objektiven Qualität der Norm ab. Die entscheidende Frage für ihn ist also nicht, ob eine Handlung mit dem Gewissen übereinstimmt, sondern ob sie mit dem objektiven göttlichen Sittengesetz übereinstimmt. Daß das Gewissen die Gegebenheit des Gesetzes Gottes ist, deutet Spaemann dahingehend, daß das Gewissen dies sein sollte, nicht daß es dies immer ist: "Gewissen und Sittengesetz stehen bei Thomas einander nicht äußerlich gegenüber. Wäre es so, dann träte das Gewissen als sittliche Instanz einfach an die Stelle des Sittengesetzes, es wäre sozusagen dessen Stellvertreter, statt die Weise seiner Gegebenheit zu sein. Das normativ irrende Gewissen ist daher für Thomas selbst Ausdruck einer sittlichen Unordnung"Anm.[24].

Spaemann muß man recht geben, insofern er den intentionalen Charakter des Gewissens hervorhebt. Das Gewissen ist nicht schlechthin Schöpfer seiner Vorschriften, es sucht sie in der objektiven Realität und beugt sich der Wahrheit. Eine Gewissensentscheidung ist eine Art Gehorsam gegenüber einer anderen Normquelle. Faßt man das Gewissen selbst als autonome Quelle ins Auge, so wird es unsichtbar. Wird es verselbständigt, ersetzt es einfach das Sittengesetz. Spaemann irrt sich meiner Meinung nach jedoch, wenn er die Intentionalität so auffaßt, als wäre sie auf moralische Einzelnormen zu beziehen. Nach Thomas bezieht sich ihre Intentionalität stattdessen auf die abstrakte Wahrheit. Was Thomas hier mit der sittlichen Ordnung meint, sind nicht die einzelnen Normen des Sittengesetzes, sondern eben nichts anderes als die abstrakte Hinordnung auf Wahrheit ("als wahr, und daher als von Gott abgeleitet").

Daraus folgt jedoch nicht, daß das Gewissen hinsichtlich einer allgemeinen moralischen Norm immer ohne Schuld irrt. Das ist eine zweite Frage. Handelt es sich um eine Norm, die man zu wissen gehalten ist, dann kann in der Tat von einem schuldhaften Irrtum gesprochen werden. Aber nicht jedwede Norm fällt in diese Kategorie. Thomas selbst kennt zusätzlich zu diesen beiden Möglichkeiten noch die weitere, daß man das, was man wissen sollte, auch wirklich wissen kannAnm.[25]. Gegen Spaemanns Deutung, die nur den ersten Fall zur Kenntnis nimmt, läßt sich auf folgende Weise argumentieren:

Zunächst sei angemerkt, daß die Angabe von zwei Sed contra-Stellen und einer objectio als Belege für seine Thomas-Interpretation verwunderlich anmutet, da solche Stellen bekanntlich nicht als die eigene Meinung des Thomas zitierbar sind. Wie dem auch sei, noch stärkere Argumente gegen Spaemanns Kritik lassen sich anführen. In der Schrift De malo erklärt Thomas ausdrücklich, daß das Gewissen sowohl bezüglich der konkreten Umstände als auch bezüglich der allgemeinen Norm irren kannAnm.[26]. In De veritate wird das Problem erörtert, das entsteht, "wenn das Gewissen von jemand Unzucht vorschreibt"Anm.[27]. Zu diesem Einwand nimmt Thomas folgerichtig Stellung: "Wenn ein irrendes Gewissen eine Handlung vorschreibt, dann schreibt es dieselbe unter irgendeinem guten Aspekt vor ...; und deshalb verfällt der Transgressor in dasjenige Laster, das im Gegensatz zu der Tugend steht, die das Gewissen bei der Vorschrift intendiert"Anm.[28].

Allerdings soll die Behauptung, daß ein irrendes Gewissen verpflichtend sei, nicht so verstanden werden, als ob die Handlung selbst dadurch bestimmt wird. Moralität hängt zwar von der Absicht ab, aber einer Handlung kommen nicht nur moralische Aspekte zu. Die Entscheidung kann gut und die Handlung trotzdem schlecht sein. Eine Handlung, die in sich schlecht ist, wird nicht durch ein irrendes Gewissen einfachhin umgewandelt; sie bleibt objektiv schlecht. Indem er die beiden Dimensionen der Subjektivität und Objektivität auseinanderhält, unterscheidet sich Thomas von dem extremen Subjektivismus Peter Abaelards, der nur die Intention berücksichtigt. Allein: es muß hier klar unterschieden werden zwischen "schlecht" und "moralisch schlecht"Anm.[29]. Auch das lateinische Wort peccatum hat im Mittelalter eine breitere Bedeutung als das deutsche Wort "Sünde"; es bedeutet einfach eine Verfehlung. Thomas unterscheidet dementsprechend zwischen peccatum und peccatum moraleAnm.[30]. Demzufolge ist es ungerechtfertigt, wenn Spaemann peccat mit "sündigt" übersetzt. Eine Verfehlung liegt zwar vor, aber nicht eine Sünde.

In dem Beispiel, das Thomas selbst verwendet, ist der Fall klar genug. Tötet ein Jäger aus Versehen seinen Vater, während er glaubt, einen Hirsch zu töten, so ist der Tod des Vaters an sich etwas Schlechtes, der Jäger kann aber durchaus völlig unschuldig sein. Die Analyse des Thomas ist beachtenswert, auch deshalb, weil sie gerade den subjektiven Aspekt verdeutlicht: "Ein menschlicher Daseinsvollzug wird als moralisch bzw. unmoralisch beurteilt gemäß dem wahrgenommenen Guten, zu dem der Wille sich eigentlich bewegt, und nicht gemäß dem tatsächlichen Inhalt der Handlung. Tötet jemand zum Beispiel tatsächlich einen Hirsch, während er glaubt, seinen Vater zu töten, so begeht er die Sünde des Vatermordes; und, umgekehrt, tötet ein Jäger, trotz gebührender Vorsicht, zufällig seinen Vater, während er glaubt, einen Hirsch zu töten, so ist er frei von dem Verbrechen des Vatermordes. Wenn also aufgrund eines irrigen Gewissens jemand etwas, das an sich nicht gegen das Gesetz Gottes ist, als gegen das Gesetz Gottes wahrnimmt und sein Wille sich in diesem Sinne dazu bewegt, dann ist es klar, daß der Wille zu dem bewegt wird, was -- an sich betrachtet und formal -- gegen das Gesetz Gottes ist, jedoch material betrachtet zu dem, was nicht gegen das Gesetz Gottes ist, ja vielleicht sogar zu dem, was gemäß dem Gesetz Gottes ist. Und es ist infolgedessen klar, daß wir es hier mit einer Mißachtung des Gesetzes Gottes zu tun haben, und deshalb ist auch klar, daß wir es hier mit Sünde zu tun haben"Anm.[31]. Wäre es hingegen der Fall, daß der Irrtum des Jägers darin bestand, nicht zu wissen, daß Vatermord verboten sei, dann könnte man vermutlich das Vorhandensein eines schuldhaften Gewissens (ignorantia iuris) annehmen.

Trotz der Tatsache, daß das Gewissen nach objektiver Wahrheit verlangt und nichts weniger als subjektive Beliebigkeit will, bleibt also bestehen, daß für Thomas von Aquin das Wesen der Moralität in einem Verhältnis zwischen Willen und Verstand eines individuellen Subjekts besteht. Der Wille erhält seinen Gegenstand vom Verstand, und sonst nirgendwoher. Das Gewissen ist für Thomas nichts anderes als der praktische Verstand. Und das Sittengesetz ist gleichfalls nichts als Verstand. "Da nun der Gegenstand des Willens das ist, was vom Verstand vorgestellt wird, so erhält der Wille, wenn er sich auf das richtet, was vom Verstand als schlecht vorgestellt wird, den Charakter des Schlechten. Das geschieht nun aber nicht nur bei indifferenten Handlungen, sondern auch bei solchen, die von sich aus gut oder schlecht sind. Nicht nur das Indifferente kann in akzidenteller Weise gut oder schlecht werden, vielmehr kann durch die Weise, wie der Verstand es auffaßt, auch das gute schlecht und das Schlechte gut werden. Sich der Unzucht zu enthalten, ist durchaus ein Gut; dennoch richtet sich der Wille nur insofern auf dieses Gut, als es vom Verstand vorgestellt wird. Wenn dem Willen somit von einem irrigen Verstand etwas als schlecht vorgestellt wird, richtet sich der Wille darauf als auf etwas Schlechtes. Der Wille ist also schlecht, weil er etwas Schlechtes will -- nicht freilich etwas, das in sich schlecht ist, sondern, wegen der Erfassung des Verstandes, ein in akzidenteller Weise Schlechtes"Anm.[32]. Und dies stammt schließlich von Gott. "Daß nun die menschliche Vernunft die Richtnorm des menschlichen Willens ist, nach der sein Gutsein bemessen wird, dies gründet im ewigen Gesetz, das ja die göttliche Vernunft selbst ist"Anm.[33].

Wir können jetzt resümieren. Objektive Wahrheit in der konkreten Entscheidungssituation ist zwar das angestrebte Ziel des Gewissens, wie auch demzufolge des guten Menschen, aber die Moralität, d. h. der Charakter des Willens hängt nicht vom tatsächlichen Erfolg dieser Suche nach Wahrheit ab, sondern von der Reinheit des Suchens selbst, d. h. von der Ehrlichkeit. Wir sind mit anderen Worten verpflichtet, die Wahrheit zu suchen, aber nicht sie im Konkreten zu finden. Dies vorausgesetzt, hängt Moralität unmittelbar von der Absicht abAnm.[34]. Wahrheit ist ein analoger Begriff. Sowohl Ratzingers als auch Spaemanns Kritiken leiden meines Erachtens unter einer Vernachlässigung der Bedeutung des abstrakten Begriffs der Wahrheit in der Moral. Die objektive Wahrheit moralischer Normen ist nicht identisch mit der Wahrheit der Moral selbst. Der abstrakte Begriff der Wahrheit, die nicht von ungefähr Gott selbst prädiziert wird, schützt vor einer ungerechtfertigten Verobjektivierung der Moral. Entgegen einer verbreiteten Überzeugung ist abstraktes Denken in Wirklichkeit gar nicht so weit von Religion entfernt. Gerade durch das Moment ihrer Abstraktheit eröffnet sich die religiöse Dimension der Moral. Nach Thomas von Aquin beruht die Notwendigkeit des Glaubens auf dem Phänomen des abstrakten Denkens. Gerade weil Menschen abstrakte Begriffe denken, insbesondere die Begriffe des Guten und des Wirklichen, ist es nach Thomas erforderlich, zu glaubenAnm.[35].

Man könnte daher von einer Ironie der Wahrheit sprechen. Die im Irrtum gegenwärtige Wahrheit und der in einer Wahrheit gegenwärtige "Irrtum" explizieren die zwei Dimensionen von Wahrheit, nämlich Wahrheit im abstrakten und im konkreten Sinne. Die Ambivalenz der Wahrheit wird von Thomas akzentuiert durch die Unterscheidung zwischen Wahrheit in einem materialen und in einem formalen Sinne. Die menschliche Vernunft weiß von absoluter Wahrheit, bleibt aber zwangsläufig unfähig, sie in sich selbst zu erkennen, während der Wille auf die ihm eigene Weise die abstrakte Wahrheit an sich doch direkt erreicht. "Liebe ist das Ziel der Erkenntnis; wo Erkenntnis aufhört", erklärt Thomas, "da kann die Liebe alsbald anfangen"Anm.[36]. Aus diesem Verhältnis zwischen Verstand und Willen entsteht Gut und Böse im moralischen Sinne. Moral erwächst aus der Wahrnehmung des Verstandes (ex apprehensione rationis). Es handelt sich also um etwas Individuelles und Subjektives. Worauf der Wille sich dann unmittelbar bezieht, ist nicht objektive Wahrheit an sich, sondern immer das, was vom Verstand als wahr (ut verum) gefunden worden ist -- allerdings aufgrund seiner mit allen möglichen Mitteln durchgeführten Suche nach möglichst objektiver Wahrheit, was natürlich auch eine moralische Verantwortung repräsentiert, die verletzt werden kann. Ist eine Handlung vom Verstand als schlecht erfaßt worden, so wird der Wille selbst schlecht, falls er diese wählt, und zwar unabhängig davon, wie die Handlung objektiv in sich tatsächlich ist. Darin besteht das moralische Böse, d. h. die Sünde. Tugend und Laster bezeichnen also die Gestalt des Willens, und zwar ob und inwiefern der Wille sich nach dem Verstand richtet. Auf diese Weise fungiert der Verstand als Angelpunkt der Moralität: "Der Grund und die Wurzel menschlicher Gutheit ist der Verstand"Anm.[37]. Moralität selbst liegt aber direkt im Willen: "Im Akt des Willens muß die Wurzel und der Ursprung der Sünde gesucht werden"Anm.[38]. Die objektive Qualität einer Handlung kann also genau das Gegenteil von der subjektiven Qualität derselben Handlung sein. Auf die Absicht (propter apprehensionem rationis) kommt es anAnm.[39].

Eine Ethik dieser Art macht Sinn nur aus einer religiösen Perspektive. Nicht die Beziehung zur konkreten Realität ist letztendlich entscheidend, sondern die Beziehung zur Wahrheit selbst (veritas prima, Gott). Demzufolge reicht es nicht, das objektiv Gute zu verwirklichen; moralisch gut ist eine Tat nur, wenn sie die Entscheidung für das göttliche Gut einschließt. "Im Ziel liegt nun aber gleichsam der Sinn (ratio volendi) des Wollens, das ein auf dieses Ziel Hingeordnetes will. Daher ist dazu, daß jemand mit einem rechten Willen ein Einzelgut will, erforderlich, daß dieses Einzelgut das in materialer Hinsicht (materialiter) Gewollte, das umfassende göttliche Gut aber das in formaler Hinsicht (formaliter) Gewollte ist"Anm.[40]. Dies bedeutet, daß die Übereinstimmung des menschlichen Willens mit dem Willen Gottes auf die formale Hinsicht eingeschränkt werden muß, in materialer Hinsicht, d. h., was die Handlung selbst betrifft, ist eine Übereinstimmung nicht unbedingt erforderlich: "Der menschliche Wille ist somit gehalten, sich dem göttlichen Willen in formaler Hinsicht anzugleichen: Er ist nämlich gehalten, das göttliche und umfassende Gute zu wollen. Aus dem genannten Grund gilt das nicht für die materiale Hinsicht (formaliter, sed non materialiter)"Anm.[41]. Die Frage, inwiefern ein Mensch in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes zu leben hat, entscheidet sich aufgrund der envisierten Absicht (quantum ad rationem voliti). Daher kann Thomas antworten: "Wer etwas unter dem Aspekt des Guten will, hat einen dem göttlichen Willen angepaßten Willen, was den Charakter des Gewollten angeht"Anm.[42]. Es kann aber nicht von vornherein von ihm verlangt werden, daß er eine bestimmte Handlung will: "Im einzelnen jedoch wissen wir nicht, was Gottes Wille ist; daher sind wir mit Bezug darauf auch nicht gehalten, unseren Willen dem göttlichen anzugleichen"Anm.[43]. Die unvermeidliche Gebrochenheit menschlicher Wahrheit wird also nicht einmal von Gottes Autorität überwunden.

Die religiöse Dimension der Moral basiert auf dem abstrakten Begriff der Wahrheit. Die KirchlichkeitAnm.[44] etwa oder geoffenbarte Einzelnormen bleiben durchaus sekundäre Aspekte. Die menschliche Gottesbeziehung, d. h. die bewußte Gottesbeziehung, entsteht nach Thomas ursprünglich aufgrund der Fähigkeit, abstrakt zu denken. Die äußerliche Praxis ist zwar das Bezugsfeld der Moral, aber ihr Wesen liegt nicht in der Welt der Handlungen. Die thomistische Ethik ist primär eine Tugendethik. Taten und Normen sind sekundär. Moralität besteht nicht aus Praxis, sondern aus Charakter. Damit ist allerdings nicht das gemeint, was man Willensstärke nennt. Es geht nicht um die Fähigkeit des Willens, sich selbst zu behaupten, sondern um die Unterwerfung des Willens unter die Wahrheit, so wie sie durch den eigenen Verstand vergenwärtigt wird.

Biblisch gesprochen geht es darum, in der Wahrheit zu wandeln (2 Jn 4), nicht in ihr zu stehen. Mit anderen Worten, Moral impliziert für Thomas von Aquin die grundsätzliche Unmöglichkeit, die Wahrheit selbst konkret zu machen, was darauf hinaus liefe, den Schöpfer auf ein Geschöpf einschränken zu wollen. Moral kennzeichnet die spezifisch menschliche Situation in der zeitlichen Welt. Solange wir in diesem Zustand leben, bleiben alle in dieser Welt gefundenen Wahrheiten durch Veränderlichkeit unaufhebbar bestimmtAnm.[45]. Menschen kennen nach Thomas von Aquin keine ewige Wahrheiten. Das heißt nicht, daß unsere erlangten Wahrheiten keine Gültigkeit haben sollten. Allein: sofern sie menschliche Wahrheiten sind, können sie nie Absolutheit erreichen.

An dieser Stelle könnte der Einwand erhoben werden, die Ambivalenz der menschlichen Situation in bezug auf Wahrheit sei aber durch die übernatürliche Offenbarung doch aufgehoben worden. Die nähere Auseinandersetzung mit diesem Bedenken ist geeignet, unsere Überlegungen zu vertiefen. Der Eindruck, die bisherige Argumentation sei eine rein philosophische, während ein spezifisch theologischer Zugang zu ganz anderen Ergebnissen führen könne, erweist sich als Täuschung, wenn man sich an das Denken Thomas von Aquins hält. Denn Offenbarung, da sie beim Menschen ankommen muß, setzt den Menschen, den Hörer des Wortes, voraus (gratia supponit naturam). Das Wesen des Menschen legt somit eine Bedingung der Möglichkeit von jedweder Offenbarung transzendental festAnm.[46]. Freilich werden dadurch mögliche kategoriale, ontische Inhalte der Offenbarung nicht präjudiziert, aber der grundsätzliche Modus wird doch vorherbestimmt, wie analogerweise etwa die deutsche Sprache die Zahl der in ihr möglichen Aussagen nicht von sich aus festlegt, obwohl doch feststeht, daß alle möglichen Aussagen mit deutschen Begriffen und gemäß der deutschen Grammatik formuliert werden. "Obwohl wir also durch die Offenbarung dazu erhöht werden, etwas zu erkennen, das uns sonst unbekannt wäre", konstatiert Thomas unmißverständlich, "erkennen wir dennoch nicht anders als durch sinnfällige Dinge"Anm.[47]. Das impliziert keineswegs so etwas wie eine Aufhebung der Theologie in die Philosophie, wie man heute vielleicht befürchten könnte. Es ist Thomas selbstverständlich, daß die christliche Offenbarung neue Kenntnisse bringt, die durch menschliche Forschung nie entdeckt werden können. Gleichwohl wird der spezifisch menschliche Erkenntismodus dadurch nicht verändert.

Weit davon entfernt also, die Ambivalenz menschlicher Wahrheit aufzuheben, impliziert der christliche Glaube eher eine Bestätigung und Verschärfung der Ironie des zeitlichen Lebens in der Wahrheit. Der Glaube ist nicht die Stillung menschlichen Strebens nach Erfüllung, sondern intensiviert das natürliche Verlangen. "Glaubenserkenntnis stillt das Verlangen nicht, sondern entzündet es eher"Anm.[48]. Statt die Unzulänglichkeit menschlicher Wahrheit zu beseitigen, macht der Glaube uns deren noch bewußter. Der Glaube hat nach Thomas eine zweifache Wirkung: zum einen bringt er uns Wahrheit zum Bewußtsein, zum andern macht er uns auf die Unerkennbarkeit der Wahrheit aufmerksam. Menschen sind mit anderen Worten imstande, Einzelwahrheiten zu erlangen, die Wahrheit selbst -- so wie sie Gott als veritas prima zugesprochen wird -- bleibt uns aber unerreichbar. Kein gläubiger Christ kann sich einbilden, er sei im Besitze der absoluten Wahrheit. Für den Aquinaten ist der Glaube die grundsätzliche Weise, wie ein Mensch sich zur Wahrheit verhält. Glaube, Hoffnung und Liebe charakterisieren ein Wesen, das unterwegs ist, das eine bewußte sich entwickelnde Geschichte hat, das fortgesetzt nach Wahrheit sucht. Wenn Thomas den Gegenstand des Glaubens definiert, hebt er zwei Merkmale hervor: Erstens sei der Gegenstand des Glaubens die Wahrheit selbst (veritas prima), aber, zweitens, diese gerade als nicht erkannt (non visa)Anm.[49]. Die konkreten Gegenstände des Glaubens, d. h. die einzelnen Glaubenswahrheiten, verkörpern konkrete Wahrheiten (vera bzw. credenda), aber nicht veritas prima. Thomas nennt sie vielmehr die Materie des GlaubensAnm.[50].

Der Versuch, die Wahrheit konkret zu machen, d. h. eine reine, ambivalenzfreie Wahrheit zu ergreifen, ist selbst unmoralisch, denn er impliziert die Absicht, Gott zu einem Geschöpf innerhalb der Welt zu reduzieren. Der Glaube gewährleistet, bis zu seiner eigenen Aufhebung mit dem Tod, daß die Unerreichbarkeit der Wahrheit selbst und somit die Bedingung der Möglichkeit von Moral überhaupt nicht vergessen wird. Nach Thomas von Aquin ist die Ambivalenz ein derart wesentliches Merkmal menschlicher Wahrheit, daß er lehrt, daß, falls wir volle Objektivität von irgendeinem Gegenstand, d. h. eine vollkommene Einswerdung des Bewußtseins mit seinem Objekt, erreichen würden, wir dann eigentlich überhaupt keine Wahrheit hättenAnm.[51]. Zur Wahrheit gehören zwei Faktoren: das Objekt und das Subjekt. Und das Subjekt muß etwas Eigenes (aliquid proprium) beitragen, denn sonst kann man gar nicht von "Angleichung" (wie in der traditionellen Definition) sprechen. Jede erreichte Wahrheit ist demzufolge eine Verfremdung, eine Gebrochenheit. Im Fall eines Irrtums überwiegt das aliquid proprium. Thomas zitiert dazu einen Psalmvers: "Zersplittert worden sind die Wahrheiten von den Söhnen der Menschen"Anm.[52]. Unsere Wahrheiten bestehen immer aus einer Mischung von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit. Solange man das Wesen Gottes nicht unmittelbar anschaut, bleibt eine Differenz zwischen verum und veritas. Unsere Wahrheiten sind für Thomas -- wobei er ein Bild des Pseudo-Dionysius Areopagita zitiert -- immer wie Verschleierungen des reinen LichtesAnm.[53], wie die farbigen Lichtschleier im halbdunklen Innenraum einer gothischen Kathedrale. Durch das Gewissen erkennen wir die Farben der Welt als das Licht der Wahrheit. Thomas begreift das ganze menschliche Leben als Streben nach Wahrheit. Er bezeichnet die Wahrheit als "das Ziel aller unserer Verlangen und Tätigkeiten"Anm.[54]. Im Unterschied zur augustinischen Tradition ist er bezeichnenderweise in der Lage, Neugierde als eine Tugend zu sehenAnm.[55]. Wir sind unterwegs, auf der Suche nach Wahrheit. Sowohl die Wahrheiten wie auch die Irrtümer, die auf der Suche entstehen, sind wie Sproßen einer auf absolute Wahrheit hingerichteten Leiter. Menschen, die mit einem individuell beschränkten Gewissen ausgestattet sind, erfreuen sich nicht der Augen platonischer Adler, die laut einer mittelalterlichen Legende das Vermögen besitzen, direkt in die Sonne zu schauen; für Thomas sind wir eher wie aristotelische Eulen, die in einer schattenhaften Realität unterwegs sind. Der Einsicht in die ambivalente Individualität dieser condition humaine und ihrer politischen Anerkennung in der Neuzeit verdanken wir das demokratische Prinzip der Gewissensfreiheit.


AMDG


Anmerkungen

[1] E.-W. Böckenförde, "Das Grundrecht der Gewissensfreiheit", Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt am Main 1991, 203. "Der Staat hat ihr zufolge sein Umwillen zuvörderst in der Gewährleistung und Sicherung der Menschenrechte des Individuums, in der Sicherung von Freiheit und Eigentum des einzelnen. Das Gewissen, als innerstes Zentrum der Persönlichkeit und ihrer Freiheit, ist ihm vorgegeben, unverletzlich' und daher soweit nur irgend möglich zu respektieren." Ibid., 225-226.(zur Textstelle zurück)

[2] Ibid., 209.(zur Textstelle zurück)

[3] "Das Gewissen ist Vermittler der gesellschaftlichen bzw. der Klassenmoral im psychischen Leben der einzelnen Persönlichkeit." Marxistisch-leninistische Ethik, aus dem Russischen übersetzt v. L. Jores, Berlin 1979, 130.(zur Textstelle zurück)

[4] "Moralisten reden von einem irrenden Gewissen. Aber ein irrendes Gewissen ist ein Unding." I. Kant, Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee, A 219.(zur Textstelle zurück)

[5] "Das Gewissen irrt nie, und kann nicht irren; denn es ist das unmittelbare Bewusstseyn unseres reinen ursprünglichen Ich, über welches kein anderes Bewusstseyn hinausgeht; das nach keinem anderen Bewusstseyn geprüft und berichtigt werden kann; das selbst Richter aller Ueberzeugung ist, aber keinen höheren Richter über sich anerkennt. Es entscheidet in der letzten Instanz und ist inappellabel. Ueber dasselbe hinausgehen wollen, heisst, aus sich selbst herausgehen, sich von sich selbst trennen wollen." J. G. Fichte, Das System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre,  15, Corollaria (Fichtes Werke, ed. I. H. Fichte, Berlin 1971, 173-174).(zur Textstelle zurück)

[6] "Actus humanus iudicatur virtuosus vel vitiosus secundum bonum apprehensum, in quod per se voluntas fertur, et non secundum materialem obiectum actus. ... Et ideo dicendum est quod omnis conscientia, sive recta, sive erronea, sive in per se malis, sive in indifferentibus, est obligatoria; ita quod qui contra conscientiam facit, peccat." Quaestiones quodlibetales III, q. 12, a. 2c.(zur Textstelle zurück)

[7] De veritate, q. 17, a. 5c.(zur Textstelle zurück)

[8] Cf. ibid., ad 1.(zur Textstelle zurück)

[9] Brief vom 20. Februar 1854 an Natal'ja D. Fonvizin (Gesammelte Werke, ed. Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Bd. 12, Leningrad 1975, 297). Die Übersetzung verdanke ich Frau Henrieke Stahl-Schwaetzer. Mehrere Jahre später erscheint das Dilemma wieder in dem Roman: Die Dämonen, 2. Teil, 1. Kap., 7. Abschn.: "Aber haben Sie nicht selbst zu mir ge- sagt, daß Sie sogar dann, wenn man Ihnen mathematisch bewiesen hätte, daß die Wahrheit au- ßerhalb Christi liege, dennoch lieber mit Christus bleiben würden als bei der Wahrheit? Haben Sie mir das gesagt? haben Sie das?"(zur Textstelle zurück)

[10] Cf. Summa theologiae, I-II, q. 19, a. 5c.(zur Textstelle zurück)

[11] "Et supra dixerat disputare cum deo cupio, ex nunc loquitur quasi Deum habens praesentem et cum eo disputans. Videbatur autem disputatio hominis ad Deum esse indebita propter excellentiam qua Deus hominem excellit; sed considerandum est quod veritas ex diver- sitate personarum non variatur, unde cum aliquis veritatem loquitur vinci non potest cum quocumque disputet." In Job, c. 13.(zur Textstelle zurück)

[12] Cf. De veritate, q. 17, a. 4, ad 4.(zur Textstelle zurück)

[13] Kommentar zur "Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute", in: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 14, 329.(zur Textstelle zurück)

[14] Ibid., 331.(zur Textstelle zurück)

[15] "Ratio errans iudicium suum proponit ut verum, et per consequens ut a Deo derivatum, a quo est omnis veritas." Summa theol. I-II, q. 19, a. 5, ad 1.(zur Textstelle zurück)

[16] Cf. De veritate, q. 17 a. 4.(zur Textstelle zurück)

[17] "In particulari nescimus quid Deus velit; et quantum ad hoc non tenemur conformare voluntatem nostram divinae voluntati." Summa theol. I-II, q. 19, a. 10, ad 1.(zur Textstelle zurück)

[18] De veritate, q. 17, a. 4, ad 2.(zur Textstelle zurück)

[19] Ibid., ad 1.(zur Textstelle zurück)

[20] Summa theol. I-II, q. 19, a. 10.(zur Textstelle zurück)

[21] Einleitung zu: Thomas von Aquin, Über die Sittlichkeit der Handlung: Summa theol. I-II, q. 18-21, Übersetzung und Kommentar von R. Schönberger, Collegia Philosophische Texte (Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft, 1990), S. XV. Thomas ist natürlich vertraut mit der klassischen Unterscheidung von ignorantia iuris, die immer mit Schuld belastet ist, und ignorantia facti, die völlig entschuldigend sein kann. Cf. In II Sent., d. 22, q. 2, a. 2c: ex toto excusat peccatum; In IV Sent., d. 21, q. 2, a. 2, ad 4; Summa theol. I-II, q. 6, a. 8c; q. 77, a. 7, ad 2; II-II, q. 59, a. 4, ad 1; III, q. 80, a. 4, ad 5; De veritate, q. 17, a. 4, ad 5. Im Fall von ignorantia iuris ist es das irrende Gewissen selbst, nicht dessen Ausführung, die sündhaft ist. Cf. ibid.: "ipsa ignorantia peccatum est." Cf. T. G. Belmans, Le paradoxe de la conscience erron‚e d'Ab‚lard … Karl Rahner, in: Revue thomiste, 90 (1990), 577, Anm. 31: "Le MaŒtre ne reconnaŒt pas la conscience individuelle comme dernier critŠre de la moralit‚. Le fond de cette thŠse est qu'il s'agit ici d'une norme primaire accessible … toute conscience humaine."(zur Textstelle zurück)

[22] Op. cit. Cf. Super Ad Galatas, c. 5, lect. 1.(zur Textstelle zurück)

[23] Op. cit., XIV-XV.(zur Textstelle zurück)

[24] Ibid., XV. Ähnlich Fichte, op. cit.,  16, IV, 195: "Aber dieser Irrthum ist und bleibt unsere Schuld."(zur Textstelle zurück)

[25] Cf. Quaestiones quodlibetales VIII, q. 6, a.5c: "Error autem conscientiae quandoque habet vim absolvendi sive excusandi: quando scilicet procedit ex ignorantia eius quod quis scire non potest, vel scire non tenetur. ... Quandoque vero error conscientiae non habet vim absolvendi vel excusandi: quando scilicet ipse error peccatum est, ut cum procedit ex ignorantia eius quod quis scire tenetur et potest". Cf. Summa theol. I-II, q. 6, a. 8c: "potest scire et debet." Was man verpflichtet ist, zu wissen, variiert außerdem von Person zu Person; cf. In II Sent., d. 22, q. 2, a. 2c.(zur Textstelle zurück)

[26] "Sive ignoretur deformitas actus (puta cum aliquis nescit fornicationem esse peccatum, voluntarie quidem facit fornicationem, sed non voluntarie facit peccatum), sive ignoretur circumstantia actus, sicut cum aliquis accedit ad mulierem quam credit esse suam, voluntarie quidem accedit ad mulierem, sed non voluntarie ad non suam". De malo, q. 3, a. 8c.(zur Textstelle zurück)

[27] De veritate, q. 17, a. 4, obj. 9. Cf. Summa theol. III, q. 80, a. 4, ad 5; De malo, q. 7, a. 1, obj. 18.(zur Textstelle zurück)

[28] "Quando conscientia erronea dictat aliquid faciendum, dictat illud sub aliqua ratione boni ...; et ideo transgressor incurrit in vitium contrarium illi virtuti sub cuius specie conscientia illud dictat". De veritate, q. 17, a. 4, ad 9.(zur Textstelle zurück)

[29] Thomas unterscheidet deutlich zwischen malum and malum morale; cf. Summa c. Gentiles III, c. 10.(zur Textstelle zurück)

[30] Cf. ibid.; De malo, q. 3, a. 1c; a. 6c.(zur Textstelle zurück)

[31] Quaestiones quodlibetales III, q. 12, a. 2. Cf. De veritate, q. 17, a. 4, obj. 9 u. ad 9.(zur Textstelle zurück)

[32] "Et quia obiectum voluntatis est id quod proponitur a ratione, ut dictum est, ex quo aliquid proponitur a ratione ut malum, voluntas, dum in illud fertur, accipit rationem mali. Hoc autem contingit non solum in indifferentibus, sed etiam in per se bonis vel malis. .... Etiam id quod est bonum, potest accipere rationem mali, vel illud quod est malum, rationem boni, propter apprehensionem rationis. Puta, abstinere a fornicatione bonum quoddam est, tamen in hoc bonum non fertur voluntas, nisi secundum quod a ratione proponitur. Si ergo proponatur ut malum a ratione errante, feretur in hoc sub ratione mali. Unde voluntas erit mala, quia vult malum, non quidem id quod est malum per se, sed id quod est malum per accidens, propter apprehensionem rationis: puta abstinere a fornicatione bonum quoddum est; tamen in hoc bonum non fertur voluntas nisi secundum quod a ratione proponitur. Si ergo proponatur ut malum a ratione errante fertur in hoc sub ratione mali. Unde voluntas erit mala quia vult ma- lum, non quidem id quod est malum per se, sed it quod est malum per accidens, propter apprehensionem rationis." Summa theol. I-II, q. 19, a. 5c.(zur Textstelle zurück)

[33] Ibid., a. 4c.(zur Textstelle zurück)

[34] Cf. Super ad Galatas, c. 5, lect. 1: "non quidem ex genere operis, sed ex intentione operantis".(zur Textstelle zurück)

[35] Cf. Summa theol. II-II, q. 2, a. 3.(zur Textstelle zurück)

[36] Ibid., q. 27, a. 4, ad 1; cf. ferner ibid., a. 2, ad 2.(zur Textstelle zurück)

[37] "Causa et radix humani boni est ratio". Ibid., I-II, q. 66, a. 1c.(zur Textstelle zurück)

[38] "In actu igitur voluntatis quaerenda est radix et origo peccati moralis". Summa c. Gentiles III, c. 10.(zur Textstelle zurück)

[39] "Morales actus recipiunt species secundum id quod intenditur". Summa theol. II-II, q. 64, a. 7c.(zur Textstelle zurück)

[40] "Ex fine autem sumitur quasi formalis ratio volundi illud quod ad finem ordinatur. Unde ad hoc quod aliquis recta voluntate velit aliquod particulare bonum, oportet quod illud parti- culare bonum sit volitum materialiter, bonum autem commune divinum sit volitum formaliter". Ibid., I-II, q. 19, a. 10c.(zur Textstelle zurück)

[41] "Voluntas igitur humana tenetur conformari divinae voluntati in volito formaliter, tenetur enim velle bonum divinum et commune, sed non materialiter". Ibid.(zur Textstelle zurück)

[42] "Quicumque vult aliquid sub quacumque ratione boni, habet voluntatem conformem voluntati divinae, quantum ad rationem voliti". Ibid., ad 1.(zur Textstelle zurück)

[43] "Sed in particulari nescimus quid Deus velit; et quantum ad hoc non tenemur conformare voluntatem nostram divinae voluntati". Ibid.(zur Textstelle zurück)

[44] Als Beispiel für einen Vertreter der Kirchlichkeit als die "spezifisch theologische Dimension des Gewissens" cf. z. B. L. Melina, Gewissen, Freiheit und Lehramt, in: Forum Katholische Theologie, 9 (1993), 241-259.(zur Textstelle zurück)

[45] "Veritas divini intellectus est immutabilis. Veritas autem intellectus nostri mutabilis est". Summa theol. I, q. 16, a. 8c.(zur Textstelle zurück)

[46] "Divina non sunt revelanda hominibus nisi secundum eorum capacitatem". Ibid. I-II, q. 101, a. 2, ad 1.(zur Textstelle zurück)

[47] "Unde quamvis per revelationem elevemur ad aliquid cognoscendum, quod alias esset nobis ignotum, non tamen ad hoc quod alio modo cognoscamus nisi per sensibilia." In Boethii De trinitate, q. 6, a. 3c, n. 2. Cf. ibid., q. 1, a. 2; q. 6, a. 2, ad 5.(zur Textstelle zurück)

[48] "Per felicitatem, cum sit ultimus finis, naturale desiderium quietatur. Cognitio autem fidei non quietat desiderium, sed magis ipsum accendit: quia unusquisque desiderat videre quod cre- dit. Non est igitur in cognitione fidei ultima hominis felicitas". Summa c. Gentiles III, c. 40, n. 5.(zur Textstelle zurück)

[49] "Veritas prima est obiectum fidei secundum quod ipsa est non visa". Summa theol. II-II, q. 4, a. 1. Cf. ibid., q. 1, a. 6, ad 2: "ut sit non visum."(zur Textstelle zurück)

[50] "In obiectum fidei est aliquid quasi formale, scilicet veritas prima super omnem naturalem cognitionem creaturae existens: et aliquid materiale, sicut id cui assentimus inhaerendo primae veritati". Ibid., q. 5, a. 1c. "Obiectum fidei primum et formale est bonum quod est veritas prima. Sed materialiter fidei proponuntur credenda." Ibid., q. 7, a. 1, ad 3. Cf. ibid., q. 1, a. 1c; In III. Sent., d. 24, q. 1, a. 1, sol. 1, ad 1.(zur Textstelle zurück)

[51] Cf. De veritate, q. 1, a. 3, ad 1: "Quamvis formatio quidditatis sit prima operatio intellec- tus, tamen per eam non habet intellectus aliquid proprium quod possit rei adaequari; et ideo non est ibi proprie veritas."(zur Textstelle zurück)

[52] Ps. 12, 2. Zitiert in Summa c. Gentiles III, c. 47.(zur Textstelle zurück)

[53] "Impossibile est nobis aliter lucere divinum radium, nisi varietate sacrorum velaminum circumvelatum." Summa theol. I, q. 1, a. 9c.(zur Textstelle zurück)

[54] Ibid. II-II, q. 4, a. 2, ad 3.(zur Textstelle zurück)

[55] Cf. J. Aertsen, Nature and Creature. Thomas Aquinas' Way of Thought, Leiden 1988, 36-40.(zur Textstelle zurück)


AMDG